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Wer schon einmal länger getragene Schuhe genauer betrachtet hat, der wird feststellen, dass deren Abnutzung so individuell ist wie wir selbst. Die Art der Wege, die wir damit gegangen sind, kann man daran erkennen, das Umfeld, in dem wir uns bewegen.
Ob wir uns ganz ausgeglichen durchs Leben bewegen, oder der Schuh an irgendeiner Stelle etwas mehr abgelaufen ist. Geschwebt, gestöckelt oder geschlurft, mancher Schritt ist uns vielleicht sehr schwer gefallen, und das alles sieht man an einem Schuh. Ihr denkt euch jetzt vielleicht „iiiieeh, was will sie mit alten Schuhen?“, also:
Worauf will ich hinaus?
Es gibt eine alte „Indianer-Weisheit“, die besagt, man solle über niemanden urteilen, solange man nicht 1.000 Schritte in seinen Schuhen gegangen sei. Soll heißen: unsere Wege sind komplett unterschiedlich. Manche sind steinig und steil, andere gemütlich und weich. Manche sind leicht zu bewältigen, andere fallen uns schwerer und kommen uns endlos vor.
Wir selbst sind jeweils die Summe der Wege, die wir gehen durften oder mussten. Der Menschen, die uns bisher begleitet haben. Erfahrungen und Erlebnisse prägen uns, positiv oder negativ. Ähnlich der Schuhe an unsere Füße, sieht man auch uns manchmal an, was wir schon alles erlebt haben. Dass wir uns schon durch so manche Dornenhecke kämpfen haben müssen.
Bei uns selbst ist uns durchaus meist bewusst, dass wir so sind, wie wir sind, aufgrund unserer Geschichte. Bei anderen fällt uns das oft schwerer. Ein Urteil ist schnell gefällt. Arrogant. Unnahbar. Naiv. Dumm. Mürrisch. Egoistisch. Oberflächlich.
Nur selten bemühen wir uns, die Geschichte dahinter zu sehen. Dass die alte Nachbarin nicht nur unfreundlich, sondern eigentlich einsam ist. Dass auf die Kollegin, die jeden Tag pünktlich nach Hause geht, vielleicht ein krankes Kind wartet. Dass der Mann, der so kurz nach der Scheidung schon eine Neue hat, es einfach nicht erträgt, in ein leeres Haus zu kommen.
Natürlich können wir uns nicht in jeder Situation die Zeit nehmen, die Geschichte unseres Gegenübers zu erforschen. Im Supermarkt, auf einem Amt, bei einem Telefonat. Aber vielleicht können wir uns, bevor wir jemandem sofort einen Stempel aufdrücken, kurz darüber nachdenken, was er und seine Schuhe schon alles erlebt haben.
Wenn wir uns darin üben, wohlwollend auf andere zu blicken, und nicht nur auf den ersten Blick zu urteilen, schenken wir uns selbst etwas dabei. Wir lernen, auch uns und unsere eigenen Eigenschaften freundlich anzunehmen. Und dann können wir alle nur gewinnen.